Ein Tag in der Dokumentations- und Gedenkstätte in der ehemaligen Untersuchungshaft der Staatssicherheit Rostock

Wenn die eigene Meinung zum Verhängnis wird

Die Gymnasialklassen der Stufe 10 der Europaschule Rövershagen, erhielten am 4. und 5.4.2022 im Rahmen des Geschichtsunterrichts die Chance an einer Führung durch die ehemalige Untersuchungshaftanstalt des MfS (Ministerium für Staatssicherheit) in Rostock teilzunehmen. Hier wurden überwiegend des Staatsverrats verdächtigte Frauen und Männer inhaftiert, die mit ständigen Verhören und überwiegender Isolation oft über Monate ihr Urteil abwarten mussten.

"Schon als ich die ersten Räume betrat, breitete sich in mir ein Unwohlsein aus, alles war so eng, erdrückend und verwinkelt ebenso wie düster und unheimlich!" sagte eine der Schülerin aus der 10B, nachdem sie einen Blick in die erste Etage des 3-stöckigen Gebäudes geworfen hatte. Hier befanden sich die so genannten "Erstaufnahmezellen", welche sehr klein und komplett ohne Lichtzufuhr waren. Dort begannen auch schon die ersten Schikanen, die die Gefangenen über sich ergehen lassen mussten.

Nach dem Zusammentreffen mit einer Mitarbeiterin der Gedenkstätte im jetzigen Seminarraum, der damals als Verhörraum diente, erfuhren die Schüler:innen erstmals, dass das Gefängnis neu rekonstruiert wurde, da es eine zeitlang zweckentfremdend wurde, wie zum Beispiel als Lager für Akten der Uni Rostock.

Dann begann auch schon die Führung. Es wurde den Schüler:innen die Möglichkeit geboten, in den Räumlichkeiten die gegebene platzarme Situation der Häftlinge nachzuempfinden. Hier konnte, wer wollte, in den kleinen Wagen steigen, welcher die vorläufig festgenommenen Verdächtigen in kleinen käfigähnlichen Zellen, die in den winzigen Anhänger des Fahrzeugs eingebaut waren, stundenlang bis zum Gefängnis kutschierte. Dabei war es egal, von wo man kam. Die als Obst oder Gemüsewagen getarnten Fahrzeuge mussten die lange Fahrtdauer einhalten, um die Verdächtigen zu verwirren, damit sie ihren Aufenthaltsort nicht erahnen konnten. Auch die Zellen im Keller und im zweiten Stock durften die Schüler:innen betreten. Es gab keine Fenster. Durch Glasbausteine fiel etwas Tageslicht in die Zellen und auch kein Lüften war möglich. Es gab nur einen kleinen Lüftungsschlitz.

Im Ausgangsbereich fanden die Schüler:innen zu ihrer Überraschung mehrere ausgemauerte kastenförmige Bereiche, welche mit Netzen bedeckt waren, vor. "Ich dachte, sie hätten wenigstens eine Wiese gesehen und ein paar Blumen, doch hier kann man nicht mehr sehen als den Himmel und ab und zu Tauben oder Möwen", stellte einer der Schüler fest, als er sich genauer umsah. An diesem Ort war es für die Gefangenen erstmals möglich gewesen, festzustellen, dass sie an der See sein mussten.

In der Woche gab es meist drei Ausgänge, in denen die Häftlinge duschen oder eine halbe Stunde Freigang genießen durften. Und immer wieder Verhöre bei Tag und Nacht sollten die Gefangenen zermürben und einschüchtern. Die restliche Zeit waren sie gezwungen in ihren winzigen Zellen zu bleiben, wobei sie das Bett nur nach Erlaubnis benutzen durften, eine bedrückende Vorstellung für die Schülerinnen und Schüler.

Nach einer erholsamen Mittagspause waren nun auch die Jugendlichen selbst in der Lage, anhand von Aktenauszügen, Bildern und dem Anhören eines Interviews weitere Informationen zu sammeln. Beim Versuch, die Akten zu lesen, mussten die Jugendlichen feststellen, dass die meisten Schriftstücke handschriftlich und in "Beamtendeutsch" verfasst worden waren. Und nicht allzu selten wurden die beiden begleitenden Lehrer, Frau Runge und Herr Dressler, um Hilfe gebeten.

Am Ende dieses aufregenden Ausfluges durften sie selbst ihren Klassenkameraden die neuerworbenen Kenntnisse über die einzelnen Fälle vorstellen.

(geschrieben von Josephine Kordt, Klasse 10)