Neue Denksteine für Günther und Lilli Brann

In Rostock wurden am 6. April 2022 zwei neue Denksteine eingeweiht. Der Verein der Freunde und Förderer des Max-Samuel-Hauses e. V. lud alle Interessierten ein, an der Enthüllung von zwei Denksteinen teilzunehmen. Die Verlegung der Steine wurde von Prof. Michael Rauscher ermöglicht. Schülerinnen und Schüler der Europaschule Rövershagen übernahmen die inhaltliche Gestaltung der Einweihung. Franz Spaans rezitierte ein Gedicht von Batsheva Dagan.

An die, die zögern zu fragen

Fragt heute,
denn heute
ist das Gestern
von morgen.

Fragt heute,
denn morgen
entdeckt ihr plötzlich,
dass es zu spät ist!

Fragt heute,
denn heute
gibt es noch Zeugen!

Fragt heute,
denn morgen
wird es nur Literatur sein
oder Auslegung.

Was fehlen wird wenn das Morgen kommt,
ist Blickkontakt und Erwiderung
eine Antwort auf jede Frage
in Worten oder Miene.

Fragt nochmals!
Fragt immer wieder!
Jetzt ist es Zeit!
Gestern kehrt nicht zurück.

Maria Bieler und Lea Reinke sprachen über das Leben von Günther und Lilli Brann, die in Rostock in der Margaretenstraße 59a wohnten.

Günther und Lilli Brann

Günther Brann wurde am 22. März 1892 als Sohn des jüdischen Kaufmanns Joseph und seiner Frau Blanda Brann in Berlin geboren. Er besuchte das Köllner Gymnasium und studierte in Berlin und ab 1916 in Rostock Medizin. Im Ersten Weltkrieg diente er freiwillig als Lazarettarzt. Günther Brann arbeitete dann bis 1927 an der Hautklinik der Universität in Rostock. Während des Studiums lernte er Lilli Appel kennen. Lilli Appel wurde am 25. Februar 1898 in Altona als Tochter des jüdischen Ehepaares Julius Appel und seiner Frau Elise geboren. Ihr Vater war praktischer Arzt. Nach der Hochzeit gab Lilli das Medizinstudium auf. Lilli Brann wechselte noch vor der Hochzeit zum evangelischen Glauben, Günther blieb jüdisch.
Am 20. Mai 1920 wurden Sohn Eberhard und am 27. Juli 1925 Sohn Conrad in Rostock geboren. Ab 1923 wohnte die Familie in der Margarethenstraße 59 a. Bis 1929/30 ist die Familie in den Adressbüchern unter dieser Adresse vermerkt.
1927 wechselte Günther Brann an das St. Georg Krankenhaus in Hamburg. Er eröffnete 1930 in unmittelbarer Nähe des Altonaer Bahnhofs eine Praxis für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Zudem war er auch als leitender Oberarzt am Harburger Krankenhaus tätig.
Im Jahre 1933 entzog die kassenärztliche Vereinigung Altona Dr. Günther Brann wegen seiner jüdischen Herkunft die Zulassung. Er verlor auch seine Stellung am Harburger Krankenhaus und musste seine Hautarztpraxis aufgeben.
1934 musste die Familie in eine kleine Mietwohnung umziehen. Sohn Eberhard besuchte ab 1933 bis 1938 ein von den Quäkern unterhaltenes Internat in den Niederlanden.
Nach Zerstörung der beruflichen Existenz entschloss sich Günther Brann zur Emigration nach Italien. Am 2. Juni 1936 verließ er Deutschland, um sich in Rom eine neue Existenz aufzubauen. Lilli Brann hatte inzwischen eine Lehre zur Reisekauffrau in einem Reisebüro abgeschlossen und arbeitete in der Branche, um sich und ihren Sohn zu ernähren. Auf diese Weise konnte sie Freifahrkarten ins Ausland bekommen. 1937 eröffnete Dr. Günther Brann eine Praxis in Rom. Lilli Brann folgte ihm mit dem zwölfjährigen Conrad.
Doch schon bald war die Familie Brann auch in Italien von der nationalsozialistischen Judenverfolgung bedroht. Die Eltern schickten den dreizehnjährigen Conrad noch vor Beginn des Zweiten Weltkrieges zu einem Cousin nach Paris. 1939 emigrierte er dann nach Großbritannien.
Der ältere Sohn Eberhard war bereits 1938 von den Niederlanden aus in die USA ausgewandert.

Dr. Günther und Lilli Brann selbst waren 1938 in die Niederlande emigriert und wollten per Schiff Europa verlassen. Dieses Ziel gelang nicht und so versteckten sie sich von 1940 bis 1943 in Amsterdam.
Das Ehepaar lebte in einem Versteck im Untergrund, bis es verraten wurde. Am 20. Mai 1943 wurden Dr. Günther und Lilli Brann nach Westerbork verschleppt. Am 4. September 1944 wurden sie nach Theresienstadt und von dort am 16. Oktober 1944 ins Vernichtungslager Auschwitz deportiert.
Ein Wachmann soll Dr. Günther Brann am 30. Oktober 1944 erschossen haben.
"Otto Wolken, ehemaliger Häftlingsarzt im Quarantänelager von Auschwitz-Birkenau, Zeuge im ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess 1963 bis 1965 gegen Mitglieder der Lagermannschaft, erstattete auf der Grundlage von Augenzeugenaussagen einen Bericht:"
‚Das Kommando, das mit Abladen und Einladen von Kartoffeln beschäftigt war, bestand zum größten Teil aus jungen Männern. Es war uns bereits während einiger Tage aufgefallen, dass aus diesem Kommando fortlaufend eine sehr große Zahl misshandelter Menschen in die Ambulanz kam, um ihre Wunden verbinden zu lassen. Hierüber wurde dem Lagerarzt Meldung erstattet, was jedoch, wie immer, folgenlos blieb. Bei dem Kommando arbeitete auch der Dozent der Dermatologie an der Universität Rostock, Dr. Günther Brann. Er trug eine goldene Brille, was dem Aufsicht führenden SS-Mann auffiel. Dieser nahm ihm darauf die Brille ab. Dozent Brann, der sehr kurzsichtig war, bat den SS-Mann darauf, ihm die Brille, ohne die er nicht sehen und seine Arbeit unmöglich ausführen konnte, behalten zu dürfen. Seine Bitte wurde mit Ohrfeigen und Tritten beantwortet. Das war für den Kapo des Kommandos das Signal, seinerseits über den Dozenten herzufallen. So oft Brann auf dem Weg zum Kartoffelbunker am Kapo vorbeiging, schlug letzterer ihm mit einem Stock auf den Kopf, den Rücken, und wo er ihn auch nur treffen konnte, so lange, bis Brann zusammenbrach. Als er wieder aufstand und erneut geschlagen wurde, entriss er dem Kapo den Stock und schleuderte ihn weg. Darauf zog der SS-Mann seine Pistole und schoss Brann nieder."
Lilli Brann wurde am 18. Oktober 1944 in Auschwitz ermordet.

Seit 2015 gibt es in Hamburg Stolpersteine für Lilli und Günther Brann.